„Das Fünfte Evangelium - Krippen im Kloster der Karmeliten zu Straubing“ – so lautet der Titel des 55. Bändchens aus der Reihe Straubinger Hefte, in dem Franz Karl mit überaus umfangreicher Sachkenntnis und unermüdlichem Fleiß Geschichte und Gegenwart der Krippendarstellungen in der Karmelitenkirche dokumentiert hat. Er und seine Gemahlin Elisabeth, die für ihren langjährigen Einsatz für mehrere Straubinger Krippen im Januar 2021 von Bischof Rudolf Voderholzer mit der St. Wolfgangs-Verdienstmedaille ausgezeichnet wurden, verspürten dennoch immer drängender das Anliegen, die Sorge um die historischen Krippen endlich in jüngere Hände legen zu können.
| Da traf es sich gut, dass ein junger, interessierter Teilnehmer des sogenannten Straubinger Krippenwegs im Jahr 2019 an seinen gerade pensionierten Vater dachte, der als langjähriger Deutsch- und Religionslehrer des Ludwigsgymnasiums alle Voraussetzungen mitbrachte, um die wechselnden Szenen aus Bibel und Kirchengeschichte in der Krippenstube und im Altarraum der Klosterkirche stimmungsvoll in Szene zu setzen. Sowohl die genaue Kenntnis der biblischen Grundlagen wie auch ein Händchen für allfällige kleinere Reparaturen sind für die Betreuung der Jahreskrippe vorteilhaft. |
Nach einer ersten Kontaktaufnahme mit dem Ehepaar Karl und in einer etwa einjährigen Lehrzeit lernte der Krippen-Novize vielerlei Tricks und Prinzipien der Krippengestaltung von seinen geduldigen und umsichtigen Vorgängern. Dazu gehört zum Beispiel die Reihenfolge, in der Kulissen, Figuren und Ausstattungsdetails angeordnet werden, oder der feinfühlige Umgang mit Lagerung, Auswahl und Handhabung der mit echten Stoffen bekleideten und beweglichen Figuren.
Wesentliches Merkmal
einer Jahreskrippe ist jedoch, dass die jeweils dargestellte Szene
zum dann aktuellen Abschnitt des Kirchenjahres passt. Während die
Bilder zu Weihnachten und Ostern als gesetzt gelten können,
orientiert sich die Gestaltung zwischen diesen Großereignissen an
den biblischen Texten der nächsten Sonntage. Zwei bis drei Wochen
vor und nach einer darstellungswürdigen Perikope sollte die Krippe
diesen Bibeltext aufgreifen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich
nicht jede Textstelle gleichermaßen zur Bebilderung eignet.
Die figürlichen Szenenbilder werden ergänzt durch passende Kurztexte, die entweder die zugehörige Bibelstelle wiedergeben oder den Anlass der Krippendarstellung erläutern. Gelegentlich werden diese Texte auch durch behutsame pädagogische Impulse ergänzt, die vor allem die Kinder unter den Krippenbesuchern ansprechen sollen. Aber auch viele ältere Besucher fühlen sich durch die Krippe an ihre eigene Jugend erinnert, in der die Krippe immer schon Augen und Herz mit Staunen erfüllt hat. Vor allem in der Weihnachtszeit kommen viele Familien mit Kindern in die Krippenstube und lassen den Nikolaus oder das Christkind in der mechanischen Krippe im Kreis fahren.
Auch die große Krippe vor dem Sebastiansaltar vorne im rechten Seitenschiff der Karmelitenkirche ist mit ihren wechselnden Szenen in der Weihnachtszeit fast jede Woche einen Besuch wert. Im Sommer sind es oft Touristen, die auf ihrem Rundweg durch die historische Stadt auch die unscheinbare Tür zur Krippenstube finden. Wer aber um den Jahreswechsel die Weihnachtsszenen oder in der Fastenzeit die Ölbergszene in der Klosterkirche aufsucht, wird mit etwa einen Meter großen, kunstvoll bekleideten Figuren der heiligen Familie belohnt, beziehungsweise wird anhand noch größeren aus Holz geschnitzten Figuren an das bevorstehende Leiden Jesu Christi erinnert.
Wo kommen Figuren und Kulissen her? Sie sind Ergebnis einer jahrzehnte- und womöglich jahrhundertelangen Sammelleidenschaft und dem handwerklichen Geschick von längst verstorbenen Karmelitenpatres und anderen Helfern und Gönnern. Das Ehepaar Karl hat sich in besonderem Maße an der Gestaltung großartiger Kulissen und dem Erhalt sehenswerter Figuren verdient gemacht. Auch durch Tausch und Erwerb aus anderen Krippen sind einige der kunstvollen Figuren im Karmelitenkloster gelandet. Leider ist die Lagerung der unzähligen Teile, aus denen die Sammlung mittlerweile besteht, im derzeit unbewohnten Klostergebäude noch nicht optimal. Der Lagerraum ist begrenzt und muss doch in unmittelbarer Nähe der Aufstellungsorte liegen, um die häufigen Szenenwechsel zu ermöglichen.
Alle Mühe wird jedoch belohnt durch die staunenden Augen der Kinder, die vor den Krippen stehen, und die dadurch vielleicht einen Eindruck von der frohen Botschaft mit heim nehmen. Insofern erinnert ein Besuch in der Krippenstube oder in der großen Krippe in der Kirche an das Jesuswort: „Lasset die Kinder zu mir kommen!“ (Markus-Evangelium 10,14). Da Jesus selbst gerne in anschaulichen Bildworten, in Gleichnissen, gesprochen hat, kann man das Aufstellen der Krippen durchaus als Mitarbeit an der Verbreitung der frohen Botschaft, gleichsam als fünftes Evangelium verstehen. Nicht nur zur Weihnachtszeit, sondern das ganze Jahr über bringt uns gerade in der derzeitigen Notsituation die Heilsbotschaft Frieden und Zuversicht.